9.1.05

Schein und Sein

Die Verfassungsbeschwerden mehrerer Unternehmen der Leiharbeitsbranche wurden vom BverfG (1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03, 1 BvR 2582/03) nicht zur Entscheidung angenommen. Sie wendeten sich gegen die Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) durch das „1. Hartz-Umsetzungsgesetz“ vom 23.12.2003. Einerseits sind dadurch einige Belastungen der Leiharbeitsunternehmen (Synchronisationsverbot, Verbot wiederholter Befristung, Wiedereinstellungsverbot, Höchstdauer der Überlassung) abgeschafft worden. Im Gegenzug für diese Erleichterung sind Verleihunternehmen aber verpflichtet worden, die im Betrieb des Entleihers für vergleichbare Stammarbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen, vor allem auch das Arbeitsentgelt (equal pay), zu gewähren (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 und § 10 Abs. 4 AÜG). Sah das ein Jahr zuvor in Kraft getretene Job-AQTIV-Gesetz dies erst ab dem 13. Monat der Überlassung vorsah, sollte es nunmehr grundsätzlich von Beginn der Überlassung an gelten. Allerdings eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, von den angegriffenen Regelungen sowohl durch Tarifvertrag als auch durch individuelle Einbeziehung eines Tarifvertrags abzuweichen.

Bei seiner Entscheidung bemühte das BverfG wiederholt den Umstand, dass dem Gesetzgeber gerade im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftpolitik ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Die Bundesregierung hatte sich auf die Fahnen geschrieben, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Qualität und Akzeptanz der Leiharbeit zu steigern. Die angegriffenen Gesetzesänderungen stellen dem BverfG zufolge jedenfalls ein nachvollziehbares Konzept dar, diese Ziele zu verwirklichen.
Deshalb sei ein Eingriff in Koalitionsfreiheit der Leihunternehmen jedenfalls gerechtfertigt. Ob ein Eingriff überhaupt denkbar ist, wenn das Gesetz eine Tariföffnungsklausel vorsieht, ließ das Gericht deshalb offen. Jedenfalls erscheint das sehr zweifelhaft. Sowohl durch Tarifvertrag als auch durch Inbezugnahme eines Tarifvertrags kann vom Gesetz abgewichen werden.

Auch eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit konnte das Gericht nicht sehen. Schließlich sei jeder einzelne Arbeitgeber tariffähig und könne damit selbst Tarifverträge schließen. Die möglicherweise stärkere Verhandlungsposition der Arbeitgeberverbände begründe keinen so erheblichen Druck, dass das Fernbleiberecht verletzt sei.

Weiderum der weite Ermessensspielraum des Gesetzgebers wird bemüht, um eine Verletzung der Berufsfreiheit der Arbeitgeber abzulehnen. Denn deren Grundrecht sei mit der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer zum Ausgleich zu bringen. Das Gesetzeskonzept ordne jedenfalls nicht die Interessen der Leihunternehmen völlig unter.

Schließlich würden durch die gesetzliche Festlegung des Gehalts die Leihunternehmen auch nicht gegenüber vergleichbaren Arbeitgebern wesentlich ungleich behandelt. Das Arbeitsentgelt werde gerade nicht einheitlich bestimmt, sondern in Abhängigkeit zu der Branche, in der die Leiharbeitnehmer jeweils tätig seien. Zudem bestehe die Möglichkeit einer abweichenden tariflichen Regelung.

Hintergrund der Verfassungsbeschwerde war das Schreckgespenst des equal pay. Konnte die Branche vorher noch mit um bis zu 40 % niedrigeren Gehältern und höherer Flexibilität werben, drohte der Lohnvorteil vollständig wegzubrechen.
Wie so oft, kam die Entwicklung tatsächlich ganz anders. Leihunternehmen sahen den einzigen Ausweg im Abschluss von Tarifverträgen. Dabei fanden sie in sonst eher unbedeutenden Christlichen Gewerkschaften willige Tarifpartner, die bereit waren auch erheblich niedrigere Tariflöhne zu vereinbaren. Wenig später kam auch der DGB von seiner anfänglichen equal pay Forderung ab und vereinbarte gleichermaßen deutlich niedrigere Löhne (eine Übersicht einschlägiger Tarifverträge findet sich hier). Hoch qualifizierte Leiharbeitnehmer wurden freilich schon vorher auf einem der Stammbelegschaft vergleichbarem Lohnniveau bezahlt. Veränderungen gab es vor allem im Niedriglohnsektor. Im Durchschnitt aller Qualifikationen geht der größte deutsche Personaldienstleister Randstadt von einem Preisanstieg im einstelligen Prozentbereich aus. Trotz oder wegen der Gesetzesänderung ist die Zahl der Leiharbeitnehmer in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich gewachsen auf rund 400.000 oder 1,5 % der Beschäftigten. Im internationalen Vergleich hat sie allerdings immer noch bescheidene Ausmaße. So beträgt sie in den Niederlanden 4,5%, in Frankreich 2,1% und in Belgien liegt der Anteil der Zeitarbeit bei 1,9%.

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