14.1.05

UNWIRKSAM WIRKSAM

"Auch jede andere Leistung, die über die in den Tarifverträgen festgelegte Leistung hinausgeht, ist jederzeit unbeschränkt widerruflich und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft!" Diese Regelung enthielt ein formularmäßiger Arbeitsvertrag. Seit der Schuldrechtsreform unterliegen sieht das Gesetz auch im Arbeitsrecht grundsätzlich eine AGB-Kontrolle vor, wobei jedoch die „Besonderheiten des Arbeitsrechts“ zu berücksichtigen sind. Das BAG stellte in seinem Urteil vom 12.01.2005 (Az.: 5 AZR 364/04) einen Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB fest. Denn die Klausel selbst muss die Gründe enthalten bei deren Vorliegen das Widerrufsrecht ausgeübt werden darf. Ein pauschaler Widerrufsvorbehalt ist hingegen unzulässig. Allerdings gelangte das Gericht dennoch zur Wirksamkeit des Widerrufsvorbehalts. Die Unwirksamkeit beruhe alleine auf formellen Anforderungen. Bei Abschluss des Arbeitsvertrags 1998 konnten die Parteien die Anforderungen der nunmehr anwendbaren gesetzlichen Regelung noch nicht kennen. Daher nahmen die Richter im Wege ergänzender Vertragsauslegung an, dass die Parteien wirtschaftliche Probleme des Arbeitgebers als Widerrufsgrund in die Klausel aufgenommen hätten. Bei Ausübung des Widerrufs hatte dieser sich darauf berufen.

Soweit die spärliche Pressemitteilung des BAG.

Dem Zivilrechtler mutet dieses Ergebnis seltsam an, zählt das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion doch zum gesicherten Grundbestand der BGH-Rechtsprechung. Der Verwender würde kein Risiko eingehen, wenn eine gerichtliche Prüfung schlimmstenfalls zum gerade noch zulässigen Inhalt führen könnte (Präventionsgedanke). Der Vertragpartner müsste umgekehrt über die AGB-Rechtsprechung ständig informiert sein, um seine Rechte zu kennen, was mit dem Transparenzgebot nicht zu vereinbaren ist.
Im Bereich des Arbeitsrechts sprechen aber gute Gründe für die Abkehr dieser Alles-oder-nichts-Lösung.
Ausgangspunkt hierfür ist die Regelung des § 306 Abs. 1 BGB, derzufolge trotz Unwirksamkeit einer Klausel der Vertrag im Übrigen in Ausnahme von § 139 BGB wirksam bleibt. Daraus kann sich freilich ein lückenhafter und letztlich nicht umsetzbarer Vertrag ergeben. Daher ordnet § 306 Abs. 2 BGB die Geltung des dispositiven Gesetzesrechts an. Im allgemeinen Zivilrecht stehen hierfür auch reichlich gesetzliche Regelungen zu Verfügung. Anders dagegen im Arbeitsrecht, wo es ganz überwiegend an einer positiven Normierung fehlt.
Man mag dann daran denken, auf das vom BAG geschaffene Richterrecht zurückzugreifen. Allerdings handelt es sich dabei überwiegend nicht um ein in sich geschlossenes gesetzesvertretendes Ersatzrecht. Entstanden ist es vielmehr in großen Teilen gerade durch die Rückführung überschießender Klauseln auf ein angemessenes Maß (etwa BAG Urteil vom 26.10.1994 - 5 AZR 390/92). Zwar sind die hierbei gezogenen Grenzen oft für den Regelfall bestimmt, so dass ihnen über den Einzelfall hinaus die Bedeutung grundsätzlicher Wertungen zukommt. Allerdings wird gleichermaßen deutlich, dass das Transparenzgebot im Arbeitsrecht generell einen geringeren Stellenwert hat.
Auch der Präventionsgedanke überzeugt im Arbeitsrecht nicht vollständig. Insbesondere unterliegt bei einseitigen Anpassungs- und Leistungsbestimmungsrechten zusätzlich deren Ausübung einer Billigkeitskontrolle nach § 106 GewO bzw. § 315 Abs. 1 BGB. Wofür im allgemeinen Zivilrecht alleine die Kauselkontrolle zu Verfügung steht, kann im Arbeitsrecht nunmehr auf zwei Kontrollebenen bewältigt werden.
Zum anderen ist das Arbeitsverhältnis ein auf Jahre angelegtes Dauerschuldverhältnis mit für den Arbeitgeber eingeschränkten Kündigungs- und Änderungsmöglichkeiten. Entsprechend großes Interesse hat er billigerweise daran, dass unwirksame Klauseln nicht vollständig wegfallen. Dies gilt vor allem aber bei Änderung- und Widerrufsvorbehalten, aber letztlich auch bei anderen Klauseln.
Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Alles-oder-nichts-Lösung nicht sachgerecht ist, stellt sich die Frage, wie man einen angemessenen Ausgleich erreichen kann. Die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung eignen sich hierfür hervorragend, weil sie dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion letztlich nicht widersprechen. Die Ansatzpunkte sind unterschiedlich. Das Verbot geltungserhaltender Reduktion stellt auf die unmittelbare Rechtsfolge ab, die ergänzende Verragsauslegung findet erst danach bei Fehlen jeglicher Regelung Anwendung und sucht den nach Treu und Glauben zu bestimmenden Parteiwillen .

In der neueren Rechtsprechung ist das BAG in drei Urteilen vom 04.03.2004 (u.a. 8 AZR 328/03) dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion ausdrücklich für den Bereich der Vertragsstrafen gefolgt. Dabei ließ es jedoch ebenso ausdrücklich offen, ob dies auch in anderen Fällen im Hinblick auf den Charakter des Arbeitsverhältnisses als ein auf Dauer angelegtes Schuldverhältnis mit für den AGB-Verwender eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten gilt.
In der aktuellen Entscheidung scheint das BAG diesen Vorbehalt genutzt zu haben, um im Wege ergänzender Vertragsauslegung eine angemessene Regelung für beide Parteien zu finden. Für eine genauere Einschätzung bleibt freilich die Urteilsbegründung abzuwarten.

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