21.2.05

ernstzunehmende Debatte

Ganz abstruse Kommentare lassen sich derzeit zum Wahlergebnis in Schleswig-Holstein vernehmen. Roland Koch möchte für einen Wahlsieg kämpfen und dafür eine „ernstzunehmende Debatte führen, ob eine nationale Minderheit einen Wahlsieg ins Gegenteil verkehren kann“. Auch der niedersächsische Regierungschef Christian Wulff meinte, man müsse aufpassen, dass der Wählerwille nicht verfälscht werde. „Man sollte Wahlsieger Wahlsieger sein lassen.“ CDU-Spitzenkandidat Carstensen nennt es eine Katastrophe, dass Rot-Grün als Wahlverlierer mit Hilfe des SSW an der Macht bleiben will. "Das würde ja die Geschichte auf den Kopf stellen, was jetzt hier im Moment noch gemacht wird."

Dem vermeintlichen Wahlsieger wird der Sieg allerdings nur genommen, wenn man dem Südschleswigschen Wählerverband die Rechte abspricht, die allen anderen gewählten Landtagsabgeordneten zustehen. CDU und FDP (34 Sitze) können genausowenig wie die bisherige Rot-Grüne Landesregierung (33 Sitze) eine Mehrheit im Schleswig-Holsteinischen Landtag erreichen. So wird die Südschleswigsche Wählerverband (2 Sitze) zwangsläufig zum Königsmacher. Welches der beiden Lager sie toleriert, darf die nächste Regierung stellen. Der SSW hatte sich insoweit schon im Wahlprogramm auf seine jetzige Linie festgelegt.

Die Sonderstellung des Südschleswigschen Wählerverbands im Wahlrecht ist dadurch begründet, dass sie sich als Interessenvertretung der dänischen Minderheit in Deutschland versteht. Beiderseits der Deutsch-Dänischen Grenze gibt es historisch gewachsene Minderheiten aus dem jeweils anderen Land. In Schlewig-Holstein umfasst die dänische Minderheit rund 50.000 Mitglieder. Mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 wurden die Grundlagen der symmetrischen Anerkennung der Minderheitenrechte auf beiden Seiten der Grenze gelegt. In der Folge wurde für den Südschleswigschen Wählerverband eine Ausnahme von der 5-%-Klausel geregelt:

Artikel 5 Absatz 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein lautet

"(2) Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung."

§ 3 Absatz 1 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein lautet

"(1) An dem Verhältnisausgleich nimmt jede Partei teil, für die eine Landesliste aufgestellt und zugelassen worden ist, sofern für sie in mindestens einem Wahlkreis eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter gewählt worden ist oder sofern sie insgesamt fünf v. H. der im Land abgegebenen gültigen Zweitstimmen erzielt hat. Diese Einschränkungen gelten nicht für Parteien der dänischen Minderheit."

Den Minderheitenregelungen im Deutsch-Dänischen Grenzgebiet wird Modellcharakter zugesprochen. An keiner anderen Staatsgrenze im westlichen Europa findet sich ein ähnliches System. Umso unpassender sind die Äußerungen "schlechter Wahlverlierer", die Minderheitenrechte offensichtlich nicht mehr beachten, wenn sie ihrem Machtstreben in Weg stehen. Kaum vorstellbar, dass von Seiten der Union in der umgekehrten Situation diesselben Reden zu hören wären. Möglicherweise übt sie sich aber lediglich in der politischen Auseinandersetzung mit Nationalisten, wenn sie die seit 50 Jahren anerkannten und bewährten Minderheitenrechte in Frage stellt.

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